Überbordende Problemlagen – und die Würde des Winzigen
Manchmal ist da derzeit nur ein schmaler Grat in mir vor dem Gefühl ständiger Überforderung: da war in den letzten Jahren die Corona-Pandemie, jetzt der Ukrainekrieg, die Klimakatastrophe, die Energiekrise und auch im Privaten reißen die Problemfelder nicht ab. Was kann ich dem alles entgegensetzen? Mir kommt zwar die ein oder andere Idee, aber die fühlen sich alle so winzig an im Angesicht der riesigen Problemfelder. Das lässt mich innerlich unruhig werden und gleichzeitig müde, bleibt da von nun an nur blinder Aktionismus oder lähmende Resignation?
Auf meinem Schreibtisch steht seit kurzem eine Postkarte mit einer Abbildung zur biblischen Geschichte der „Speisung der fünftausend Menschen“, irgendwie zieht sie mich immer wieder in ihren Bann und ich will wissen warum. Ich lese die Geschichte: Eines Tages spricht Jesus lange vom Himmelreich Gottes zu den Menschen, er trifft ihre Sehnsucht und es werden immer mehr Zuhörende, fünftausend. Am Abend sollen seine Jünger diese riesige Menschenmenge verköstigen. Sie haben nur fünf Brote und zwei Fische. Auch so eine überbordende Problemlage und angesichts dessen auch nur so eine winzige Handlungsmöglichkeit, die sich eher wie ‚Nichts‘ anfühlt. Während ich lese, spüre ich ein Stück die Überforderung, sehe die verständnislosen Blicke der beiden Jünger von der Postkarte, die sie Jesus zuwerfen, der sie dagegen aber aufmunternd anschaut. Solch eine Aufmunterung, trotz der für alle sichtbaren Diskrepanz des riesigen Problems und der unzureichenden Lösung „fünf Brote+ zwei Fische für fünftausend Menschen“? Wofür ist dieser aufmunternde Blick Jesu? Während ich die Karte anblicke, schließt er mich auf einmal mit ein. Ich werde innerlich wach und fühle mich hingezogen, da in Resonanz zu gehen, mit dem was Jesus mit diesen winzigen, unscheinbaren Gaben seiner Jünger macht. Eigentlich steht dazu nicht viel im Text. Ich nähere mich mit Focusing diesen Bestandteilen der Erzählung:
< Jesus lässt sich die Gaben seiner Jünger, die fünf Brote + zwei Fische, bringen. Er hat das Zutrauen: es gibt eine Lösungsidee, und er beurteilt/verurteilt diese dann nicht gleich. Die Jünger sind eingeladen, auch mit ihrem „Zuwenig“ zu kommen.
< Er lässt sich das in ihren Augen „Winzige“ zeigen und schaut es an, vorurteilsfrei. Er würdigt es mit seinen Blicken.
< Er nimmt die winzigen Gaben in seine Hand – das heißt doch bei Jesus: er nimmt sie achtsam und liebevoll in seine Hand, wertschätzend.
< Er blickt hoch in den Himmel, d.h. lenkt den Blick aller zu Gott, dem Schöpfer aller Dinge, also auch dem Schöpfer der Jünger mit ihren Begrenzungen und Handlungsmöglichkeiten; er verbindet beides miteinander bzw. erinnert an diese Verbindung.
< Er dankt Gott für diese winzigen Gaben. Er dankt dem Schöpfer und Vater, da gibt es keine Verurteilung wegen zu geringem Wert. Er nimmt das Maß seiner Jünger an Lösungsmöglichkeiten an.
< Er teilt das Winzige und lässt es austeilen. Also egal wie klein, es ist teilbar, schafft somit Verbindung zwischen Menschen, lindert Notlagen, ist ein notwendiger Baustein. Die Jünger selber dürfen es austeilen.
Im Angesicht der Weltprobleme – die Würde der winzigen, auch meiner winzigen Handlungsmöglichkeiten. Wider alle Vernunft. Statt Vernunft: Zuversicht, Trost, Stärkung. Eine Focusing-Sitzung zum Aufatmen.
(Bibeltext zum Nachlesen: Evangelium nach Matthäus, Kapitel 14)