Das neue Jahr ist noch ganz jung und frisch, erst ein paar Tage alt. Was es wohl bringen mag? Sofort wollen sich in mir sorgenvolle Gedanken einstellen, zur bevorstehenden Wahl im Land, zu weiteren Klimaproblemen, den kriegerischen Auseinandersetzungen weltweit …, so will es innerlich immer weitergehen. Ich merke, hier braucht es ein STOP in mir. Hier braucht es einen inneren Freiraum, für mich und auch für das neue, junge Jahr. So nehme ich mir Zeit für ein kurzes Focusing:
Ja, da gibt es die Sorgenbereiche, sie sind da, real, und somit will ich sie annehmen. Aber sie sollen eine Begrenzung haben, sie sind nur ein Teil von mir, vom Leben. Daneben muss es auch andere Teile geben, die genauso real sind. Ich lausche in mein Inneres, wende meinen inneren Blick weg vom Sorgenraum hin zu einem möglichen freien Raum. Gibt es ihn? Ja, nach einem kurzen inneren Suchprozess spüre ich ihn in meinem Körperinnenraum; es gibt ihn und ich will schauen, ob sich dort etwas einstellen mag, eine Richtung fürs neue Jahr, die nicht Sorge ist. Also: dort verweilen, offen und empfangsbereit, ich lade auch Gottes Weisheit mit ein. Wird etwas kommen?
Ich lausche und warte geduldig. Tatsächlich, in den freien Raum fällt mir eine Erinnerung, ein Spruch des Dichters Novalis aus dem 18. Jhdt.: „Wohin gehen wir? Immer nach Hause.“ Ahh, das lässt mich aufatmen, der Satz tut mir gut, mein Inneres wird wacher, heller, zuversichtlich. Es gibt eine Bewegung in mir, als wenn sich etwas innerlich dahin ausrichten will. Da gibt es die Sorgenbereiche, aber da gibt es auch ein „Immer nach Hause“, als Ziel meines Lebens. Was heißt Letzteres eigentlich, wie und wo spüre ich das? Ich frage meinen Körper und er weist mich zu meinem Herzraum. „Nach Hause“ ist mehr als ein konkreter Ort im Hier und Jetzt, es ist eine Qualität des Seins, die dort im Herzraum für mich spürbar ist oder eben auch ihr fehlen; ich kann zwischen diesen beiden Möglichkeiten wie hin- und herpendeln. Ich verweile damit noch einen Moment, falls sich noch etwas einstellen will. Das Bild einer Kompassnadel taucht in mir auf: Diese Qualität kann wie ein Kompass in mir wirken, auf den hin ich mich einnorde. Mir kommen Zugvögel in den Sinn, die es hier an der Ostsee so viel gibt, sie haben einen inneren Kompass, ein Wissen in ihrem Körper, welches sie über unglaublich weite Strecken doch verlässlich an ihrem Ziel ankommen lässt.
Das ist ein wohltuendes Bild. Aber irgendwie spüre ich noch eine Unruhe darin. Muss das jetzt sein? Anscheinend ja, sie geht nicht weg. Na gut, also will ich mir noch kurz Zeit für diese Unruhe nehmen, sie annehmen, mit ihr verweilen, sie einladen mir ihre Bedeutung zu zeigen. Ich spüre zu ihr hin: Ja, „Immer-nach Hause gehen“ ist eine Qualität, die aufspürbar ist. Aber ist das immer so? Es gibt auch Zeiten meines Lebens, wo Gefühlsqualitäten leider nicht so direkt zur Verfügung stehen, sie verschüttet sind, verstellt und ich trotzdem nach vorne gehen muss, nicht warten kann, bis sie sich wieder einstellen. Da fällt eine weitere Erinnerung in meinen freien inneren Raum, der Satz der französischen Mystikerin Madeleine Delbrel: „Hoffen heißt, voll Vertrauen auf etwas zu warten, das man nicht kennt, aber es von jemandem zu erwarten, dessen Liebe man kennt.“ Ahh, nun kommt es in mir zur Ruhe. Was führte dazu, was macht den Unterschied? Ich frage meinen Körper, verweile, lausche: Die Seins-Qualität „Zuhause“ muss ich nicht selber in mir ‚halten‘, sondern jemand hält sie für mich – das „Du“ Gottes, der große Liebhaber allen Lebens, hält sie für mich, auch in Zeiten, wo ich keinen Zugang zu meinen Gefühlen habe. Entspannung. Mein Körper wusste, dass dieser Teil in der inneren Ausrichtung und Suchbewegung für mich noch fehlte.
Ein Focusing am Anfang des Jahres. Manche würden solch eine innere Suchbewegung vielleicht eher Gebet nennen. Für mich sind Focusing und Gebet oft eins.