Booster – ein etwas ungewöhnliches Wort im Focusing-Kontext. Zuletzt haben wir es vielleicht bei der Wiederauffrischung einer Impfung gehört. Ein Booster ist ein Verstärker, ein Förderer, ein Treiber, eine Auffrischung. Was hat das wiederum mit Focusing & Spiritualität zu tun? Dazu nehme ich die Lesenden mit in meine Geschichte.
Lange Zeit habe ich mich gefragt, was dieser Ausdruck bedeutet: Im Glauben wachsen. Nun hatte ich seit Kindesbeinen Bibelgeschichten gelernt, sie in Glaubenskursen, Bibelunterricht und zahlreichen Predigten und Hauskreisabenden vertieft, bedacht und von allen Perspektiven betrachtet. Ich habe gebetet, mal mit Gebetsliturgien, mal in freien Gebetsgemeinschaften und in der „Stillen Zeit“. Ich habe mich in meiner Kirchengemeinde engagiert, mich ehrenamtlich in Musik, Leitung und bei der Organisation von Projekten eingebracht und so mit meinen Gaben gedient.
Und doch stellte sich irgendwann eine heilige Unruhe ein. Eine Unruhe, die nicht (nur) dadurch zustande kam, dass ich mich sicher über die Maßen in Aktivitäten verausgabt habe und so eben gar nicht zur Ruhe gekommen bin. Mir stellte sich die Frage, was eigentlich noch kommt in meinem Glaubensleben. Ich wusste – vermeintlich – doch schon alles (besser). Mir war schnell klar, dass es nicht mehr vom Gleichen sein kann, also nicht noch mehr Bibellesen, noch mehr Engagement, noch mehr Gebetszeiten. Was suchte ich und wo?
Ich suchte etwas Neues, etwas anderes, etwas, was bislang nicht in meinem Glaubensleben vorkam.
Zuerst lernte ich Exerzitien im Alltag kennen. Diese Art der Stille und des Betrachtens von z.B. Bibeltexten, Bildern und anderen Texten kannte ich nicht. Die klar strukturierte Zeit am Morgen und am Abend sowie bei den Gruppenabenden enthielt immer auch Einfühlung in den Körper, achtsame Selbstwahrnehmung, Atemübungen oder Ähnliches. Ich fühlte, dass hier eine Tür zu etwas Neuem aufging, und ich brauchte eine Weile, um wirklich einzutreten.
Diese ersten tastenden Schritte in das unbekannte Land ermutigen mich dann, Focusing kennen zu lernen. In meiner Grundausbildung bei Peter Lincoln habe ich das Konzept und die praktischen Schritte von Focusing schnell erfasst. Ich fragte, ob das jetzt tatsächlich schon alles sei, was wir noch die nächsten vier langen Wochenenden lernen würden. Dann stellte sich aber heraus, dass das Lernen hier anders ging. Diese Art des Lernens war neu und fremd für mich: Es im Körper spüren, es im Körper wirken lassen, von dort aus Neues wahrnehmen und entdecken und dann auch verstehen. Und was war „es“ eigentlich? Und was hatte es mit meinem Glauben zu tun?
In der ersten Phase war ich daher mit meinem körperlichen Spüren beschäftigt, lernte quasi eine neue Fremdsprache, lernte die Landschaft in einem Gebiet kennen, für das ich noch keine Landkarte hatte, denn die kognitive allein half hier nicht weiter.
Viel später, als ich mich mit Modellen und Theorien der Glaubensentwicklung beschäftigt habe, habe ich gemerkt und verstanden, dass sich mit Focusing mein Glaube, mein Gottesverständnis, mein Erleben verändert hatte. Focusing wirkte wie ein Entwicklungsbooster für meine Glaubensentwicklung. Es veränderte meine Gottesvorstellung, meinen Gebrauch der Sprache, die Art und Weise die Bibel zu lesen und mein Gebet. Das Einbeziehen der Ebene des Körpers, der Gefühle, der Bilder in das Erleben jenseits von dogmatischen Richtigkeiten eröffnete neue Räume, knüpfte an alte Traditionen wie der Mystik an, brachte mich in Kontakt mit Menschen anderer Konfessionen und Religionen. Heute kann ich mit Modellen der Persönlichkeitsentwicklung viel anfangen, die beschreiben, dass Entwicklung Erweitertung von Perspektiven bedeutet. So konnte ich auch meine Glaubensentwicklung nachvollziehen und ein Stück einordnen. Ich erlebe Focusing nach wie vor, wie einen Weg (= Methode, wörtlich für Weg, wie man zu einem Ziel gelangen kann), auf dem ich, während ich gehe, Entdeckungen mache. er entsteht beim Gehen, das Ziel ändert sich oder ich lasse es sogar ganz los.
Die Erfahrungen mit Focusing sind individuell und lassen sich nicht vergleichen oder in ein Ablaufschema bringen. Daher kann ich weder versprechen, wohin dich Focusing auf deinem Glaubensweg „befördern“ wird, noch dass du dabei (keine) Überraschungen, unerwartete Wendungen und ganz Neues entdecken wirst. Probiere es einfach aus, wenn du jetzt spürst: Da geht eine Tür auf.
Foto von Suzanne D. Williams auf Unsplash